Craniomandibuläre Dysfunktionen (CMD): Welche zahnärztlichen und biopsychosozialen Therapieformen sind nachweislich wirksam?

Beim Umgang mit Patienten, die an orofazialen Schmerzen und/oder nicht-schmerzhaften kieferfunktionellen Beschwerden leiden, besteht die zahnärztlich-intellektuelle Herausforderung weniger in der Wahl der "richtigen" Therapie als vielmehr im Stellen der korrekten Diagnose. Wenn die Diagnose stimmt, ist die Behandlung relativ einfach – sofern man sich an publizierte therapeutische Empfehlungen hoher Evidenzstufe hält. Letztere stammen aus methodisch guten systematischen Übersichten und Artikeln, die über Ergebnisse aus randomisierten, kontrollierten Studien berichten.

Die erste Entscheidung, die bei der Therapieeinleitung zu treffen ist, ist, welche Symptome überhaupt behandlungsbedürftig sind. So besteht in den internationalen Fachgesellschaften heute Konsens, dass Kiefergelenkgeräusche allein keine Behandlung rechtfertigen. Therapiepflichtig sind demgegenüber Schmerzen in Kaumuskulatur und Kiefergelenken sowie eine deutliche Einschränkung der Unterkieferbeweglichkeit (v. a. der Kieferöffnung), wobei diese häufig die Folge bestehender Schmerzen ist (Schonhaltung).

Zweck der Therapie akuter myoarthropathischer Schmerzen ist eine möglichst schnelle Schmerzbeseitigung, um so auch periphere und zentrale Sensibilisierungen, d. h. einer Schmerzchronifizierung zu verhindern.

Zweck der Therapie chronischer myoarthropathischer Schmerzen ist eine Schmerzverringerung und, wenn erforderlich, eine Verbesserung der Kieferfunktion sowie eine Erhöhung des eingeschränkten psychischen Wohlbefindens.

Die American Association for Dental Research veröffentlichte im März 2010 eine Grundsatzerklärung zur Diagnostik und Therapie der craniomandibulären Dysfunktionen [http://www.aadronline.org/i4a/pages/index.cfm?pageid=3465], die derzeit weltweite Beachtung findet. Darin wird dringend geraten, für die Initialbehandlung konservative, reversible und auf hohem Evidenzniveau stehende Mittel zu wählen.

Konkrete Empfehlungen für Therapien mit nachgewiesener Wirksamkeit liegen vor (z. B. Hugger et al. Schmerz 2007; Schindler et al. Schmerz 2007; List & Axelsson, J Oral Rehabil 2010), wobei nicht wenige Studien mit methodischen Mängeln einhergingen (z. B. heterogene bzw. kleine Patientenkollektive; keine klar definierten Zielgrößen; Kurzzeitbeobachtungen).

Derzeit sind (verschieden starke) Belege für die Wirksamkeit folgender Maßnahmen vorhanden:

  • Patientenaufklärung.
  • Intraorale Schienen (z. B. Michigan-Schiene).
  • Pharmakotherapie (Analgetika; Antidepressiva; Botulinumtoxin; Clonazepam; Diazepam; Hyaluronsäure; Glukokortikoide).
  • Passive und aktive physio-/manualtherapeutische/krankengymnastische Übungen.
  • Schmerzpsychologische/verhaltenstherapeutische Maßnahmen.
  • Schmerz(verhaltens)psychologische Therapien (z. B. Entspannungsverfahren; Biofeedback).
  • Akupunktur [eingeschränkt].

Dabei ist bei Patienten mit verringertem psychischen Wohlbefinden ein multimodaler Ansatz einer Einzelmaßnahme überlegen (Türp et al., Clin Oral Implants Res 2007). Keine ausreichende Evidenz (List & Axelsson, J Oral Rehabil 2010) ist bislang verfügbar für:

  • elektrophysikalische Maßnahmen (Laser; TENS; Ultraschall);
  • kiefergelenkchirurgische Interventionen.

Keine Belege (List & Axelsson, J Oral Rehabil 2010) für eine therapeutische Wirksamkeit liegen vor für:

  • systematisches Einschleifen von Zähnen (List & Axelsson, J Oral Rehabil 2010).
Sonnabend, 13. November 2010
Zeit: 9:30-9:50 Uhr
Ort: Forum, Panorama 2
Ebene/Etage: 1
Prof. Dr. Jens Christoph Türp

Prof. Dr. 
Jens Christoph Türp 
 
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