Logo Deutscher Zahnärztetag Prof. Dr. Kurt W. Alt (Mainz)
Prof. Dr. Kurt W. Alt (Mainz)

Das molekulare Gesicht Europas – Zähne schreiben Geschichte

Samstag, 10. November 2012
Zeit: 11:45-12:30 Uhr
Ort: Forum, Agenda
Ebene/Etage: 0

Das Nachdenken über uns selbst, den Homo sapiens sapiens, der als anatomisch moderner Mensch vor etwa 40.000 Jahren in Europa erste Spuren hinterlässt, beschäftigt nicht nur Evolutionsforscher. Über die längste Zeit seiner Geschichte war der Mensch abhängig von der Natur. Dieses Leben änderte sich dramatisch und nachhaltig, als mit dem Ende der letzten Eiszeit die größte ökonomische Veränderung der Menschheitsgeschichte überhaupt einsetzt. Während einer Wärmeperiode entstanden um 14.000 vor heute erste bewohnte Siedlungen im Nahen Osten. Der als Neolithische Revolution bekannte Vorgang gilt als Meilenstein auf dem Weg zu unserer heutigen Gesellschaft. Zu den Schlüsselfaktoren der Umwälzung zählen eine auf Produktion und Viehhaltung basierende bäuerliche Lebensweise, Sesshaftigkeit und einschneidende soziale Veränderungen in allen Lebensbereichen. Im 8. Jahrtausend vor heute erreicht die neue Lebensweise Mitteleuropa. Das wie und auf welchen Wegen ist bis heute nicht restlos geklärt, auch nicht, ob die frühen Bauern in Mitteleuropa Kolonisatoren waren, ob eine Assimilierung der Vorbevölkerung stattfand oder ob sich diese durch Ideentransfer die neuen Errungenschaften aneigneten. Als "neolithic package" importierten die Emigranten nicht nur neue Arten (z. B. Rinder, Ziegen) und Kultursorten (z. B. Emmer, Einkorn) sondern auch allochthone DNA-Marker (mtDNA- und Y-Chromosom-Lineages). Dass die Assimilation eine gewichtige Rolle bei der Neolithisierung Europas gespielt hat, belegen Daten zur Populationsgenetik anhand der Analyse alter DNA (aDNA), die das Potential besitzt, durch den Einsatz geeigneter genetischer Marker (mtDNA, Y-Chromosom) derartige Fragestellungen zu beantworten. Nach Studien zur Rekonstruktion der Bevölkerungsgeschichte Mitteleuropas reichen die Wurzeln der modernen Europäer, also auch von uns selbst, bis in die Jungsteinzeit zurück. Dieses Ergebnis überrascht vor dem Hintergrund einer permanent hohen räumlichen Mobilität des Homo sapiens und der zahlreichen bekannten historischen Wanderungen. Im Rahmen dieser Forschungen spielen die Zahnhartgewebe als Archiv unserer genetischen Herkunft eine entscheidende Rolle.
 
 
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