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Dr. Paul Schmitt (Frankfurt)

Falldiskussion 4: Begutachtung einer Zahnersatzplanung bei fraglicher Motivation und Indikation

 
Der Fallbericht

Zahnarzt Dr. EJ hat im Auftrag der AOK eine ZE-Planung für einen gesetzlich versicherten, 17-jährigen Patienten zu begutachten. Beantragt werden drei keramisch vollverblendete Brücken im Seitenzahnbereich (15-17, 34-36, 45-47); Hintergrund der Planung ist der Wunsch nach einem Lückenschluss in allen drei Quadranten.

Die Mundhygiene ist gut, der Biss stabil. Die weitere intraorale Inspektion ergibt, dass alle Zähne füllungs- und kariesfrei sind; es fehlen lediglich die Zähne 16, 35, 37 und 46 sowie die Weisheitszähne. Die Zähne 17 und 47 weisen eine sehr starke Mesialkippung auf, die in regio 16 und 46 jeweils zu Lückenverengungen auf Prämolarenbreite geführt haben; die mesialen Randleisten liegen auf Gingivaniveau. Die zur Überkronung vorgesehenen Zähne sind ausnahmslos vital, klinisch fest und röntgenologisch ohne pathologischen Befund. Mesial an 17 und 47 finden sich aufgrund der beschriebenen Kippung ein deutlicher Abfall der Alveolarkammlinie sowie eine parodontiale (Pseudo)tasche. Vorgesehen ist die Eingliederung von drei jeweils vollverblendeten VMK-Brücken als private Therapieplanung. Als Regelleistung werden drei Vollgussbrücken und eine keramische Verblendung an 34 beantragt, so dass ein erheblicher Eigenanteil (ca. 2500 Euro) verbleibt.

Die Hauszahnärztin Dr. AG gibt in einem kollegialen Telefonat an, dass insbesondere die Eltern des Patienten auf einen prothetischen Lückenschluss drängten und der Patient diese Position mittlerweile "übernommen" habe. Dr. AG ist sich bewusst, dass die Präparation an 17 und 47 schwierig wird und dass es zu einer Devitalisation durch zu starken Substanzabtrag bzw. zu einer mangelhaften Friktion aufgrund der mesial extrem kurzen Pfeiler kommen kann, traut sich die Maßnahme jedoch nicht zu und merkt an, man könne im Bedarfsfall "ja eine endodontische Therapie anschließen". Sie gibt an, über alle Risiken aufgeklärt und alternativ eine kieferorthopädische Lösung sowie eine Implantatversorgung diskutiert zu haben. Beides sei jedoch von den Eltern und in der Folge auch vom Patient abgelehnt worden. Nach geltenden Richtlinien steht dem Versicherten ein Brückenersatz in allen drei Quadranten zu.

Wie sollte Dr. EJ entscheiden? Den Gutachter beschäftigen v. a. drei Fragen: Wie geht er damit um, dass er es mit einem mutmaßlich entscheidungsfähigen 17-jährigen Patienten zu tun hat, der Wunsch nach einer prothetischen Versorgung aber, zumindest primär, von den nicht entscheidungsberechtigten Eltern ausgeht? Besteht im vorliegenden Fall überhaupt eine medizinische Indikation für den prothetischen Lückenschluss? Ist es sozialethisch verantwortbar, die anteiligen Kosten für die geforderte Brückenversorgung der Solidargemeinschaft (Versicherungsgemeinschaft) aufzubürden?
 
 
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